Sonntag, 23. Dezember 2012

Adventskalender: Törchen 23

Hinter dem heutigen Törchen verbirgt sich eine von mir selbst geschrieben Geschichte. Sie ist erst heute entstanden, also noch ganz neu. Hoffentlich gefällt sie euch ... :)




Weihnachten.

Es war jener kalte und harte Winter des Jahres neunzehnhundertdreiundachzig. Die Leute sprachen noch Jahre später ehrfürchtig darüber. Der Schneefall setzte bereits Ende September ein und mit jedem Tag, jeder Woche, jedem Monat zog sich der eisige Klammergriff fester um das Dorf Hogsmeade und das darüber thronende Schloss Hogwarts. Was einige zunächst als Pracht und Schönheit der Natur empfanden, wurde schnell zum Fluch. Zum weißen Fluch, wie einige damals sagten. Die Schüler hatten wir bereits zwei Wochen früher in die Weihnachtsferien geschickt, denn auch die Schneeschutzzauber des Hogwarts-Expresses hatten ihre Grenzen und ich wollte nicht, dass sie alle über Weihnachten im Schloss festsitzen.
Eine Woche vor Weihnachten schließlich bat ich die Bewohner von Hogsmeade, hoch ins Schloss zu ziehen. Aufgrund des verfrühten Schneefalls hatte kaum jemand genug Holz für den Winter gesammelt und die dicken Steinwände der Schule boten einen besseren Schutz, als es die dünnen Holzhäuser im Dorf taten. Fast alle Dorfbewohner nahmen dankbar an, selbst mein Bruder Aberforth, wenn auch unter einigem Murren.
Tagsüber hielten sich die meisten von uns nun in der Großen Halle auf, wo ein warmes Kaminfeuer flackerte und provisorische Schlaflager aufgebaut waren. Die Stimmung war niedergeschlagen, bei Lehrern gleichsam wie bei Dorfbewohnern. Lediglich der eine, große Weihnachtsbaum, welcher in der Mitte der Halle stand, vermochte die Menschen ein wenig aufzuheitern. Hagrid hatte es sich nicht nehmen lassen, hinaus in den meterhohen Schnee zu stapfen und zumindest einen einzigen Weihnachtsbaum zu fällen und aufzustellen. Die Kollegen rund um Professor Flitwick statteten den Baum mit allem erdenklichen Schmuck und Lichtern aus, und ich kann wohl mit Recht behaupten, dass es der prächtigste Weihnachtsbaum war, den die Schule je gesehen hatte. Mit seinen vielen hundert Lichtern und den goldenen und roten Kugeln wurde der Baum für die Schlossbewohner eine Art Leuchtfeuer der Hoffnung in der erdrückenden Dunkelheit, welche sich mit den Schneemassen über die Gemüter gelegt hatte.

So harrten sie nun alle aus, Dorfbewohner und Lehrer gleichermaßen und hofften, das kommende Weihnachtsfest und den Winter heil zu überstehen. Auch die Vorräte der Schule würden irgendwann zur Neige gehen. Meine größte Sorge galten zu dieser Zeit aber eher der einzigen Person, welche meiner Einladung auf das Schloss nicht gefolgt war.
Für Minerva McGonagall war Elphinstone Urquart der wichtigste Mensch in ihrem Leben gewesen. Seit ihrer Heirat drei Jahre zuvor hatten die beiden vielleicht nicht die ganz große Liebe, dafür aber die innigste Freundschaft entwickelt, die mir je untergekommen ist. Elphinstones Tod, welcher gut einen Monat zurücklag, hatte Minerva in ein tiefes Loch stürzen lassen, und der verfrühte Ferienbeginn hatte sie noch darin bestärkt, sich immer weiter zurückzuziehen und in stiller Trauer allein in ihrem Haus am Rande von Hogsmeade zu bleiben.
Es war inzwischen eine Woche her, dass ich Minerva gesehen hatte, und ich konnte nicht weiter tatenlos im Schloss ausharren. Ich machte mich, unter vielen ungläubigen Blicken, aber auch bekräftigenden Zurufen, auf, sie zu suchen. Dichtes Schneegestöber schlug mir entgegen, als ich das Schlossportal öffnete. Den meterhohen Schnee zu durchqueren war zugegeben eine Herausforderung, aber ich kenne da den einen oder anderen nützlichen Zauber und kam schließlich auf der Hauptstaße des verlassenen Dorfes an. Ganz am Ende bog ich nach links und ging direkt auf das kleine, gemütliche Haus zu, an dessen Tür immer noch ein Schild mit der Aufschrift Urquard & McGonagall hing. Mein Klopfen blieb ohne Reaktion, also ging ich hinein. In der Hütte war es kaum wärmer als draußen; das Kaminfeuer schien schon vor Stunden erloschen zu sein. Mein Blick fiel auf die Hintertür, welche einen Spalt weit offen stand, sodass der Schnee sich bereits einen Weg hinein gesucht hatte. Ich ging dort hinaus. Eine Spur, zweifellos von Minerva, führte nach links, am Rande des Verbotenen Waldes entlang. Ich hatte eine Ahnung, wo Minerva sein könnte.

Ich folgte der Spur und erreichte schließlich den kleinen Friedhof zwischen Waldrand und Kapelle. Direkt in der ersten Reihe kauerte eine Gestalt; zitternd, frierend, schluchzend. Langsam ging ich auf sie zu.
»Minerva?«
Das Schluchzen verstummte und Minerva McGonagall blickte auf. Tränen glitzerten auf ihren Wangen und mischten sich mit den Flocken des anhaltenden Schneegestörbers. »A – Albus? Was machst du hier?«
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du solltest nicht alleine hier draußen in der Kälte ausharren.«
»Du hättest nicht herkommen sollen. Ich möchte nicht unter Menschen sein.« Ihre Stimme hatte einen kühlen Ton angenommen.
»Glaubst du wirklich, dass es in Elphinstones Sinne gewesen wäre, wenn du vor seinem Grab erfrierst, Minerva?« Bei der Erwähnung des Namens zuckte sie leicht zusammen.
»Ich – ich kann ihn doch nicht hier draußen im Stich lassen«, sagte sie schwach.
»Es spielt keine Rolle, wo du dich befindest. Alles was zählt ist, dass wir diejenigen, die wir lieben, in unseren Herzen tragen. Und du trägst ihn in deinem Herzen, Minerva. Er weiß das. Auch, wenn du nicht an seinem Grab bist. Ich bitte dich, komm mit mir aufs Schloss. Niemand sollte Weihnachten in Einsamkeit verbringen.«
Endlich rappelte sie sich auf. Sie versuchte, die Tränen wegzublinzeln. »Meinst du wirklich, dass ...«
»Ja, ganz sicher. Und nun komm, sonst bringst du dich noch ernsthaft in Gefahr!«
Ich ließ keinen Widerstand mehr zu und langsamen Schrittes gingen wir gemeinsam hinauf zum Schloss. Am Portal wurden wir bereits von vielen, aufgeregten Dorfbewohnern empfangen. Sie alle schienen glücklich, dass Minerva wohlbehalten im Schloss angekommen war. Und selbst Minerva brachte ein schwaches Lächeln ob der Fürsorge zustande, die ihr entgegengebracht wurde. Einige Minuten später, als sich der Trubel etwas gelegt hatte, sah ich sie alleine, aber immer noch mit einem leisen Lächeln auf den Lippen vor einem der weiten Fenster der Großen Halle stehen. Langsam trat ich neben sie.
»Sieh doch. Elphin hat mir ein Zeichen geschickt«, flüsterte sie ehrfürchtig. Ich war schon im Begriff, zu fragen, wie sie das meinte, als mein Blick dem ihren folgte: Es hatte aufgehört zu schneien. Die Wolkendecke, welche seit Monaten verschlossen war, begann bereits, aufzureißen; ein großer Stern schien hell vom Himmel herab und spiegelte sich in Minervas grünen Augen wieder.
Immer mehr Leute kamen herbei und folgten unseren Blicken. Ein glückliches Murmeln hob an. Das Ende des Schneefalls erschien uns allen wie ein wahres Wunder.
»Ein Wunder der Weihnacht«, vollendete Minerva meinen Gedanken. »Frohe Weihnachten, Elphin. Frohe Weihnachten, Albus.«

Rückblickend muss ich sagen, dass jenes Weihnachtsfest im Jahr neunzehnhunderdreiundachzig eins der schönsten war, die ich auf Hogwarts erleben durfte. Wir waren immer noch eingeschneit, und der Schnee blieb auch nach Weihnachten noch wochenlang liegen, aber das Ende des Schneefalls hatte die Menschen bestärkt, hatte ihnen die Hoffnung gegeben, dass der weiße Fluch doch zu bezwingen war.
Wir alle versammelten uns um den prächtigen Weihnachtsbaum und ließen uns von seinem Glanz und unserer Gegenseitigen Freude verzaubern. »Frohe Weihnachten, Minerva.«

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen